Vor langer langer Zeit lebte in einem Dorf im Norden Chinas ein Mann, der ein wunderschönes Pferd besass. So schön war dieses Pferd, dass die Leute von weither kamen, um es zu bewundern. Und sie alle waren sich darin einig, dass der Mann gesegnet war, weil er ein so schönes Pferd besass. „Mag sein“ meinte er.
„Aber was wie ein Segen aussieht, könnte auch ein Fluch sein“.
Eines Tages riss das Pferd aus und war verschwunden.
Die Leute kamen herbei, um wegen des Unglücks ihr Bedauern auszudrücken.
„Mag sein“ meinte der Mann.
„Aber was wie ein Fluch aussieht, könnte auch ein Segen sein.“
Einige Wochen später kam das Pferd zurück, und zwar mit einer ganzen Herde Wildpferde im Gefolge.
Dem Gesetz nach gehörten nun diese alle dem Mann und machten ihn reich.
Die Nachbarn, um ihm zu diesem Glück zu gratulieren.
„Mag sein“ meinte der Mann.
„Aber was wie ein Segen aussieht, könnte auch ein Fluch sein .“
Nur kurze Zeit darauf versuchte sein einziger Sohn, eines dieser Wildpferde zu reiten.
Er wurde abgeworfen und zog sich einen komplizierten Bruch am Bein zu.
Die Nachbarn kamen herbei und drückten ihr Bedauern aus.
Es konnte sich nur um einen Fluch handeln.
„Mag sein“ meinte der Mann.
„Aber was wie ein Fluch aussieht, könnte auch ein Segen sein.“
Eine Woche später kam der Kaiser durch das Dorf, und alle tauglichen Männer wurden eingezogen, um in den Krieg gegen die Leute im Norden zu ziehen.
Es war ein fürchterlicher Krieg.
Alle jungen Männer aus dem Dorf kamen dabei ums Leben.
Einzig der Sohn des Mannes überlebte, weil er ja ein gebrochenes Bein hatte.
Seitdem sagen die Menschen in diesem Dorf.
„Was wie ein Segen aussieht, könnte ein Fluch sein.
Was wie ein Fluch aussieht, könnte ein Segen sein.“
(Quelle: Joel ben Izzy, Der Geschichtenerzähler oder das Geheimnis des Glücks, Freiburg 2005)